Mittwoch, 29. Februar 2012

ocean's eleven //

OT Ocean's Eleven // USA 2001 // 116 Min. // 2,35:1 //
Regie Steven Soderbergh // Kamera Peter Andrews // Musik David Holmes //

"Cliff Richard hat angerufen, er möchte sein Hemd wieder zurückhaben."

"Kaum aus dem Gefängnis entlassen, plant der elegante Gauner Danny Ocean in Las Vegas den Coup seines Lebens: Er will die drei größten Casinos der Stadt gleichzeitig ausnehmen. Dazu engagiert er die elf besten und coolsten Spezialisten der Branche, wie den Falschspieler Rusty und den Taschendieb Linus. Ihr raffinierter Plan scheint perfekt. Doch Danny hat mit dem skrupellosen Besitzer der Casinos, Terry Benedict, noch eine ganz private Rechnung offen. Denn Terry ist der neue Freund von Dannys Ex-Frau Tess. Und um sie zurückzuerobern, riskiert Danny alles." (DVD-Cover)

Liest man sich die Beschreibung der DVD-Rückseite durch, besteht die Gefahr, dem Irrglauben zu erliegen, dies sei lediglich ein weiterer netter, aber eigentlich überflüssiger Gangsterfilm, ein selbstzweckhaftes Starvehikel mit der alleinigen Intention, einige Hollywood-Größen ohne viel Aufwand und mit einer 0815-Story mal wieder ins Gespräch zu bringen. Auch wenn man sich erinnert, dass Stephen Soderbergh üblicherweise vornehmlich mit großen, meist Oscar-würdigen Dramen auftrumpft, wie beispielsweise »Traffic« oder »Erin Brockovich«, so bedeutet es wohl, dass »Ocean's Eleven« nicht mehr als eine Fingerübung für den Regisseur gewesen sein kann, ein kleiner Appetithappen für Zwischendurch.

Nun, Fingerübung hin oder her, Begriffe wie "überflüssig", "selbstzweckhaft" oder "0815" sollte man dafür jedenfalls nicht gebrauchen. Selten hat man einen so durch und durch amüsanten, in sich stimmigen und ganz besonders stilvollen Film zu Gesicht bekommen wie dieses Remake des Klassikers »Frankie und seine Spießgesellen« mit Frank Sinatra aus dem Jahre 1960. Die Beteiligten sind mit sichtlichem Spass und Charme bei der Sache, Kostümdesigner Jeffrey Kurland dürfte bei seinen ziemlich lässigen Kreationen einige Überstunden angesammelt haben, und Meister Soderbergh kümmerte sich höchstselbst auch noch als Kameramann um die perfekte Hochglanzoptik (im Nachspann verpasste er sich dafür allerdings das Pseudonym "Peter Andrews").

Der verblüffende Höhepunkt des Coups am Schluss fügt sich nahtlos an das hochintelligente Geschehen an, und genau, wie Danny Ocean seine "Eleven" (lat.: "Schüler") dann ein wenig klüger und erwachsener ins normale Leben zurück entlässt, so entlässt er den Zuschauer mit der Gewissheit, mal wieder einen außergewöhnlichen Gangsterfilm gesehen zu haben.

Dienstag, 28. Februar 2012

matrix //

OT The Matrix // USA 1999 // 131 Min. // 2,35:1 //
Regie Andy Wachowski & Larry Wachowski // Kamera Bill Pope // Musik Don Davis //

"Die Menschen sind eine Krankheit, und wir sind die Heilung."

"Der Hacker Neo wird übers Internet von einer geheimnisvollen Untergrund-Organisation kontaktiert. Der Kopf der Gruppe - der gesuchte Terrorist Morpheus - weiht ihn in ein entsetzliches Geheimnis ein: Die Realität, wie wir sie erleben, ist nur eine Scheinwelt. In Wahrheit werden die Menschen längst von einer virtuellen Macht beherrscht - der Matrix, deren Agenten Neo bereits im Visier haben." (DVD-Cover)

Wer hätte gedacht, dass man gegen Ende des 20. Jahrhunderts doch noch mal etwas wirklich Neues im Lichtspielhaus zu Gesicht bekommen würde? Die vom Kino besessenen Filmfreaks Andy und Larry Wachowski haben es mit »Matrix« tatsächlich fertig gebracht, dass sich auch der erfahrendste Zelluloid-Veteran im Saal mit offenem Mund an seiner Sessellehne festkrallt. Nie zuvor hat man innovative, digitale Spezialeffekte in derartiger Perfektion auf der Leinwand erleben dürfen. Aber nicht das allein, sogar die Story, sonst meistens lästiges, kümmerliches und nur notwendigerweise entwickeltes Beiwerk von Event-Movies wie diesem, ist intelligent und clever ausgearbeitet. Ein Film für die Sinne - und fürs Gehirn.

Matrix-Produzent Joel Silver hat gesagt, dieses Werk sei das erste Stück Zelluloid, welches den Titel "Film des neuen Jahrtausends" auch wirklich verdiene. Ein wahrlich überstrapazierter Begriff, soviel ist sicher, trotzdem ist man nach Sichtung dieses gewaltigen Streifens geneigt, dem trommelnden Hollywood-Macher zuzustimmen. 1991 revolutionierte James Cameron mit seinen damals sensationellen Morphing-Tricksereien in »Terminator 2 - Judgment Day« die Szene digitaler Spezialeffekte, bereits zwei Jahre später sorgte Steven Spielberg mit dem Dinosaurier-Spektakel »Jurassic Park« weltweit für offene Münder in den Kinosälen, indem er erstmals komplett am Rechner kreierte Riesenechsen eine idyllische Südseeinsel plattwalzen ließ. Seitdem hat sich in dem Sektor nicht allzu viel Neues ergeben. Zwar wurden die vorhandenen Techniken erweitert und bis an die Grenzen der Perfektion getrieben, trotzdem hatte man bei den zahlreichen Event- und Effekt-Movies gegen Mitte/Ende der 90er Jahre immer das Gefühl, alles schon mal irgendwo gesehen zu haben - bis zu »Matrix«. Für die innovativen und wirklich neuartigen Action-Sequenzen, in denen sich die Kontrahenten scheinbar schwebend in Zeitlupe bekriegen, während sie von der Kamera nach Belieben umkreist werden, wurde ein eigenes Effekt-Verfahren entwickelt, "Bullet-time", benannt nach Pistolenkugeln ("Bullets"), die man mit Hilfe dieser Technik sich langsam auf ihrer Flugbahn bewegend künstlich am Computer designen und beobachten kann.

Wie gesagt, bei all der optischen Wucht bleiben auch glücklicherweise die grauen Zellen nicht unterfordert. Durchaus eine interessante Vorstellung, unsere Welt könne einfach nur eine Simulation sein, alles, was wir hier "erleben", wäre unecht. Es gäbe keine Gefühle, keinen Schmerz, keinen Geruch - nur das, was unser Gehirn als "echt" interpretiert. Nun mag einer sagen, dass das doch gar nicht sooo schlimm wäre, man würde den Unterschied ja ohnehin nicht bemerken. Kann man so sehen, und das tun auch durchaus einige Charaktere im Film, die Neo damit ziemlich zu schaffen machen. Es gibt immer zwei Seiten, Agent Smith beispielsweise hält einmal einen hochinteressanten Monolog, in welchem er, natürlich nicht ganz ernst gemeint (auch Maschinen können Humor haben), den Menschen ihre Zugehörigkeit zur Spezies der Säugetiere abspricht. Durch ihr offenbar angeborenes Verhalten, sich niederzulassen, sich auszubreiten, sämtliche natürlichen Ressourcen auszubeuten, bis davon nichts mehr übrig ist, und dann weiterzuziehen, verhielten sie sich eher wie ein Virus.

Des Weiteren gibt es natürlich zahlreiche Anspielungen auf den christlichen Glauben; angesichts eines einzelnen Charakters, der unfreiwillig die Menschheit erretten soll, bietet sich das auch an. Nicht umsonst lässt sich aus dem Namen "Neo" das Anagram "One" bilden, der "Auserwählte". Und das Wort "Neo" steht bereits für einen Neuanfang, genauso wie für endlich mal etwas wirklich Neues in den Lichtspielhäusern der uns gegebenen (!) Welt.

die fabelhafte welt der amélie //

OT Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain // Frankreich 2001 // 117 Min. // 2,35:1 //
Regie Jean-Pierre Jeunet // Kamera Bruno Delbonnel // Musik Yann Tiersen //

"Wenn der Finger zum Himmel zeigt, schaut nur ein Dummkopf den Finger an."

"Amélie lebt in ihrer eigenen fabelhaften Welt. Sie hat ein Auge für Details, die anderen entgehen, und einen Blick für magische Momente, die flüchtiger sind als ein Wimpernschlag. Als sie beschließt, als gute Fee in das Leben ihrer Mitmenschen zu treten, schickt sie einen Gartenzwerg auf Weltreise, zaubert jahrzehntelang verschollene Liebesbriefe wieder herbei und wird zum Schutz- und Racheengel in einer Person. Nur wenn es um ihr eigenes Glück geht, steht Amélie sich selbst im Weg - bis ihr ein guter Geist auf die Sprünge hilft..." (DVD-Cover)

Betrachtet man das filmische Gesamtschaffen von Regisseur Jean-Pierre Jeunet vor »Die fabelhafte Welt der Amélie«, fragt man sich doch unweigerlich, wie jemand, der sich bisher hauptsächlich auf durchgedrehte Endzeit-Kannibalen (»Delicatessen«), fiese Kindesentführer (»Stadt der verlorenen Kinder«) oder blutrünstige Außerirdische (»Alien - Die Wiedergeburt«) festgelegt hat, einen so wunderbar verspielten, reinen, fast unschuldigen Film wie diesen schaffen kann.

Seinen ganz eigenen, mehr als skurrilen Stil hat er jedoch in dieses Meisterwerk hinübergerettet, was nicht nur die allesamt recht exzentrischen Charaktere perfekt transportieren, er dringt vielmehr auch aus den beeindruckenden Bildern, die durchaus Auszeichnungen für visuelle Effekte verdient gehabt hätten.
 
Darüber hinaus trägt die reizende Neuentdeckung Audrey Tautou den Film fast allein - nicht zu vergessen: tatkräftig unterstützt durch die wunderbar leichte Frühlingsstimmung im herrlichen Paris, deren Faszination sich niemand entziehen kann, nicht einmal Amélie. Eine solch fabelhafte Welt scheint tatsächlich möglich zu sein - für jeden, der bereit ist, sie selbst zu erschaffen.

Samstag, 25. Februar 2012

tiger & dragon //

OT: Wo Hu Cang Long / Crouching Tiger, Hidden Dragon
Hongkong/China/Taiwan 2000 - 115 Min. - 2,35:1
- Ang Lee

"All das, was wir anfassen können, ist nicht von Dauer."

Ein Kung-Fu-Film ... ah, ja. Aber bitte nicht zu hektisch mit allzu schnellen Vorurteilen! Wie kommt es, dass ein Martial-Arts-Film, wie er heutzutage korrekt nach zeitgenössischer Mundart genannt wird, bei der Oscar-Verleihung für das Filmjahr 2000 in Los Angeles, USA, nach insgesamt sage und schreibe zehn Nominierungen immerhin vier Trophäen ergattern kann (und das in den nicht gerade "kleinsten" Kategorien)? Dieses wiegt umso schwerer, führt man sich die Tatsachen vor Augen, dass an der Herstellung des Werkes so gut wie kein einziger Amerikaner beteiligt war und größtenteils an Original-Schauplätzen in Taiwan und China gefilmt wurde. Wie passt das also alles zusammen? Das muss dann ja wirklich ein ganz besonderer Film sein, um den es sich hier handelt, oder? Oh, ja!

Das für westliche Gemüter Befremdlichste an Filmen wie diesem sind mit Sicherheit die insbesondere bei den Kampfszenen offenbar nur noch rudimentär vorhandenen Regeln der Schwerkraft. Zugegeben, die Inszenierung der Action-Sequenzen ist gewöhnungsbedürftig. Nur wer "Eastern" noch nie leiden konnte und absolute Realitätsnähe von einem Film erwartet, der wird von Tiger & Dragon wahrscheinlich auch nicht bekehrt werden. Alle anderen runzeln angesichts wider sämtliche Gesetze der Physik durch die Luft, über Hausdächer oder zwischen Baumwipfeln hin und her fliegender Kämpfer zunächst die Stirn, erkennen aber bereits nach kurzer Eingewöhnungsphase schnell die Qualität der unglaublichen Akrobatik und märchenhaften Geschehnisse auf der Leinwand.

Außerdem: Natürlich sind die Kämpfe zentrale und wichtige Bestandteile des Filmes, aber bei weitem nicht alles, was dieses Werk ausmacht. Im Vordergrund stehen hier allgegenwärtige und zeitlose Themen, die die Menschen überall auf der Welt bewegen, ganz gleich in welcher Himmelsrichtung. Trotzdem: Das zentrale Duell in schwindelerregender Höhe der Baumkronen zwischen dem erfahrenen, ausgeglichenen Meister Mu Bai und der jungen, heißblütigen Jen ist von so atemberaubender Eleganz und Schönheit, dass man wohl noch lange auf einen Film warten muss, der Ähnliches auf die Netzhäute dieser Welt wird zaubern können. Sämtliche Kampfsequenzen wurden übrigens von Yuen Wo Ping choreographiert, welcher bereits für die Fights in Matrix verantwortlich war, ein weiteres Zeichen für das zumindest filmische Zusammenrücken von Ost und West.
»Tiger & Dragon« ist also endlich mal ein besonderer Kung-Fu-Film? Wie gesagt: Oh, ja!

Freitag, 24. Februar 2012

arizona junior //

USA 1987 - 90 Min. - 1,85:1 - Joel Coen

"Und es sah so aus wie... na ja, wie unser Zuhause. Wenn nicht in Arizona, dann in einem Land, das nicht so weit entfernt ist, wo alle Eltern stark sind und weise und tüchtig, und wo alle Kinder glücklich sind, und geliebt werden. - Ich weiß es nicht. Vielleicht war es in Utah?"
 
Joel und Ethan Coen haben in den '80er und '90er Jahren eine Reihe von brillanten Filmen hervorgebracht, angefangen bei ihrem Erstling Blood Simple, einem bedrückenden Kammerspiel um Betrug und Eifersucht, über das düster-brutale Gangster-Epos Miller's Crossing bis hin zu ihrer skurrilen, mit Preisen überhäuften Gangsterhatz Fargo. Bereits hier kann man erahnen, dass die elegante Leichtigkeit, mit der die beiden Brüder zwischen den Genres wechseln, ihresgleichen sucht. Der vorläufige Höhepunkt ihres Schaffens fand jedoch relativ unbemerkt zwischendurch statt, denn Arizona Junior ist ihr mit Abstand witzigster, durchgeknalltester und ganz einfach menschlichster Film. Und noch etwas: Es ist definitiv auch ihr irrster...

Die Grundidee ist schon mal ungewöhnlich genug. Jetzt muss man sich nur noch auf die visuelle Umsetzung des ganzen einlassen, und dabei schießen die Coens gleich mehrfach über ihre eigenen, eh schon genug ausgereizten Bestmarken hinaus - zur uneingeschränkten Freude des Zuschauers. Als Beispiele seien hier nur die unglaubliche Sequenz des Gefängnisausbruchs von Gale und Evelle erwähnt, sowie eine durchgedrehte Verfolgungsjagd, die damit beginnt, dass H.I. eigentlich nur ein paar Windeln klauen möchte, und an der mehrere Fahrzeuge, Hunde, pickelige Tankstellen-Kassierer und Supermarkt-Kundinnen mit Lockenwicklern beteiligt sind - alles mit spektakulären Kamerafahrten in Szene gesetzt von Barry Sonnenfeld, dem späteren Regisseur von Addams Family und Men in Black. Aber all das wird im Finale beim Kampf gegen den widerwärtigen Kopfgeldjäger natürlich noch einmal getoppt...

Nimmt man zu all dem noch den urkomischen Nicolas Cage, der mit wirrer Frisur und müdem Blick durch die Gegend stolpert, und garniert das ganze mit der ständig im Hintergrund lärmenden Hillbilly-Musik, ergibt das insgesamt einen der irrsten Filme aller Zeiten. Aber nie war dieser Irrsinn so brillant in Szene gesetzt und mit so viel Wärme und Sympathie für die "kleinen Leute" und ihre ganz eigene Art, mit dem Leben fertig zu werden, versehen wie hier. Wieder ein Film, in dem eigentlich nur Ganoven und Halsabschneider am Werke sind, aber diesmal wenigstens welche, die man ins Herz schließen kann.

magnolia //

OT: Magnolia
USA 1999 - 180 Min. - 2,35:1 - Paul Thomas Anderson


"Ich habe viel Liebe zu geben. Ich weiß nur nicht, wohin damit."

Bereits mit seinem Debüt Boogie Nights, in dem systematisch die amerikanische Porno-Industrie der '70er Jahre auseinander genommen wird, hat sich Regisseur und Autor Paul Thomas Anderson als zynisch-scharfer Beobachter der Gesellschaft und Zwischen-den-Zeilen-Leser menschlicher Beziehungen präsentiert und sich für noch Größeres empfohlen. Was er dann allerdings mit Magnolia vorgelegt hat, dürfte selbst kühnste Erwartungen übertroffen haben.

Mit diesem Drei-Stunden-Epos, seinem erst zweiten Film, legt er die Messlatte dermaßen hoch an, dass man wohl leider kaum damit rechnen kann, dass er sie je selbst wieder wird überspringen können. Na ja, somit bleibt aber dieser Film dann wenigstens das Maß aller Anderson-Dinge, was ja auch schon nicht schlecht ist. Das vor Ideenreichtum und Drama aus allen Nähten platzende Werk ausführlich und in allen Details zu beschreiben, sollte man gar nicht versuchen, das muss schon jeder selbst erleben.

Hier nicht unerwähnt bleiben soll allerdings eine der einzigartigsten Szenen der Filmgeschichte: Als die grob neun Hauptcharaktere allesamt gleichzeitig auf emotionalen und zwischenmenschlichen Tiefpunkten angelangt sind, läuft im Hintergrund der wunderbar melancholische Song "Wise up" von Aimee Mann. Anderson lässt, wie nebenbei, seine Figuren, die sich in sich selbst zurückgezogen haben, um ihre Wunden zu lecken, hintereinander verschiedene Passagen des Liedes offen und laut mitsingen, bis die Traurigkeit und der Schmerz so überwältigend werden, dass sie kaum noch zu ertragen sind. Dermaßen am Boden können sie sich trösten, dass es nicht schlimmer kommen wird, und wenn man es schafft, sich aus so einem Abgrund selber herausziehen, kann man alles überleben. Wenn man es schafft.

american beauty //

OT: American Beauty
USA 1999 - 117 Min. - 2,35:1 - Sam Mendes

"Sehen Sie mich an, ich hole mir unter der Dusche einen runter. Das wird der Höhepunkt meines Tages sein, von jetzt an geht es nur noch bergab."

Interessant, dass erst ein Brite kommen muss, um den Amerikanern schonungslos in Hinterhöfe und Keller ihres Alltags zu leuchten. Der in London gefeierte Theaterregisseur Sam Mendes (Road to Perdition) hat gleich mit seinem Kino-Debüt American Beauty den am meisten beachteten und künstlerisch erfolgreichsten Film des Jahres 1999 abgeliefert (fünf Oscars). Bei einem solchen Drehbuch und einer derartigen Besetzung war das aber bereits im Vorfeld fast schon abzusehen.
 
Kevin Spacey (Die üblichen Verdächtigen) ist wie immer über jeden Zweifel erhaben, Annette Bening nervt zwar unfaßbar als frustriertes, erfolgloses Ehewrack, füllt somit die Rolle aber konsequent aus. Eigentlicher Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist allerdings Chris Cooper, der als zwischen strengen Moralzwängen und eigener unterdrückter Homosexualität hin- und hergerissener Ex-Colonel mit brillant-brachialer Wucht durch die Leben seiner Mitmenschen wütet.

Dieses von Meisterregisseur Steven Spielberg co-produzierte Werk traut sich was. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf die inneren Bösartigkeiten einer Gesellschaft zu Zeiten, in denen Oberflächlichkeit und schöner Schein jede menschliche Regung abtöten und zur Anormalität abstempeln. Diesmal greift kein fremder Feind von außen die gepflegten Reihenhaus-Fassaden an, die Bedrohung kommt von einem guten alten Bekannten, von ganz tief unten in einem selbst, und das ist der schlimmste Gegner, den man haben kann.

the green mile //

OT: The Green Mile
USA 1999 - 181 Min. - 1,85:1 - Frank Darabont


"Er hat sie mit ihrer Liebe getötet - ihrer Liebe füreinander."

Oh, Herr im Himmel, was für ein schöner Film! Obwohl, mag man spontan denken, nach Die Verurteilten ein weiteres Knast-Movie von Regie-Ass Frank Darabont, ebenfalls wieder nach einer Non-Horror-Vorlage von Bestseller-Fabrikant Stephen King? Und dann auch noch drei Stunden lang? Stimmt schon, es drängt sich der Verdacht auf, den kreativen Köpfen hinter diesem Werk falle nichts Neues mehr ein. Eine weitere Gemeinsamkeit: Genau wie Die Verurteilten mit Tim Robbins und Morgan Freeman war auch The Green Mile in nahezu allen wichtigen Oscar-Kategorien nominiert, aber (Schande über die Academy!) nicht eine einzige Statuette konnten die Schaffenden der beiden Filme jeweils davontragen. Ein Flop also? Weit gefehlt, denn: Was für ein schöner Film!
 
Man hofft die ganze Zeit, dass doch am Schluss bitte die Gerechtigkeit den Sieg davon tragen möge. Die Herren Darabont/King haben aber mit ihrem bitter-süßen Finale die deutlich passendere und interessantere Variante gewählt. Die bösen Buben Percy und "Wild Bill" bekommen, was sie verdienen, und man weint ihnen keine Träne nach. Aber selbst wenn man es sich nicht ganz so vorgestellt hat, kriegt John Coffey das, was er sich wünscht, was er sich verdient hat.

Stephen King liebt man, oder man hasst ihn. Dazwischen gibt es nichts. Dieses Werk aber muss man lieben; wer in einem Film nach einer King-Vorlage Werwölfe, Kinder-fressende Clowns und derlei garstiges Getier erwartet, wird bei The Green Mile nicht fündig werden. Monster ganz alltäglicher Natur wie Hass und Sadismus gibt es allerdings auch hier, die Helden sind Achtung, Respekt und Menschenwürde. Trotzdem ist der Stil des einstigen Horror-Autors nach wie vor allgegenwärtig, was dem Film aber keineswegs als Nachteil ausgelegt werden sollte. Sprachlich unverwechselbare Feinheiten, wie sie sich nur ein Stephen King ausdenken kann, wurden präzise übernommen. So wird beispielsweise der elektrische Stuhl bei Wärtern und Häftlingen gleichermaßen fast liebevoll, aber nicht respektlos, nur "Old Sparkey" (engl. "Spark" = Funken) genannt.
 
Tom Hanks thront über dem ganzen Geschehen mit präziser aber fordernder Zurückhaltung, Michael Clarke Duncan erschlägt den Zuschauer durch seine schiere, gewaltige Präsenz, die er allerdings gar nicht wirklich einsetzen muss, um zu fesseln (im krassen Gegensatz zu seinem Auftritt in Armageddon an der Seite von Bruce Willis); eine zu Recht Oscar-nominierte Leistung in diesem wunderschönen Film!

im auftrag des teufels //

OT: The Devil's Advocate
USA 1997 - 138 Min. - 2,35:1 - Taylor Hackford


"Ich bin Humanist. Vielleicht ja sogar der letzte Humanist. Ich bin ein FAN der Menschheit!"

Eine gruselige Fantasy-Mär mit allerlei übernatürlichem Schnick-Schnack, das ganze angesiedelt im gepflegten Juristen-Milieu, garniert sogar mit Ende der 1990er Jahre äußerst populären Computer-Dämonen? Zugegeben, darauf muss man sich erstmal vorurteilsfrei einlassen. Ist man dazu aber bereit, überrollt einen der bildgewaltige Thriller unnachgiebig, die hochintelligente Story steuert gnadenlos auf einen zunächst schockierenden Showdown zu, versöhnt vorübergehend mit einem erstklassigen Hollywood-Happy-End, um schließlich in allerletzter Minute noch einmal einen ganz fiesen Haken zu schlagen.

Taylor Hackford (Dolores), seltsamerweise bisher nur Wenigen als Regie-Wunder aufgefallen, serviert dem staunenden Betrachter einen eiskalten Kommentar auf die Karriere-Geilheit der Upper Class gegen Ende des vergangenen Jahrtausends, benutzt, natürlich völlig übertrieben und grotesk verzerrt, stellvertretend dafür den angesehenen Stand der Prozessanwälte, welche für die Interessen ihrer meist schuldigen Mandanten (und für ihre eigenen) über Leichen gehen. Allein schon angesichts des Filmtitels verrät man wohl nicht zuviel, wenn man auf Al Pacino als eine neue, sehr interessante Ausgabe des auf Erden wandelnden Leibhaftigen hinweist. Zum Glück halten sich bei diesem exzellenten Thriller stampfende Pferdefüße und ähnliches stark in Grenzen, abgesehen, wie gesagt, von dem übertriebenen Fegefeuer-Firlefanz gegen Ende. Aber diese Effekthascherei ist dann wenigstens auf dem modernsten Stand der 1997er Tricktechnik und atemberaubend anzusehen.

Bis dahin (und auch ganz am Schluss) erwartet den Zuschauer eine ungewöhnlich intelligente Hollywood-Gruselei, die von vorne bis hinten konsequent durchdacht und choreographiert ist: Ein bitterer Abgesang auf eine skrupellose Gesellschaft am Rande des neuen Millenniums, wo es für Dämonen und andere böse Buben nicht sonderlich schwierig ist, ganz oben die Macht zu übernehmen. Freilich waren derlei okkulte Themen zu dieser Zeit sehr angesagt - etwas später sollte zum Beispiel End of Days mit Ösi-Bulldozer Arnold Schwarzenegger die Angst vor dem nahenden Weltuntergang am 1. Januar 2000 auf die Spitze treiben.

Jedenfalls, wenn etwas
Im Auftrag des Teufels unvergesslich macht, dann ist das doch zumindest die schauspielerische Tour-de-force von Edelmime und Knautschgesicht Al Pacino. Mit wahrhaft diabolischer Freude gibt er den absolut nicht unsympathischen Beelzebub und wütet durch die Szenerie, dass einem schwindlig wird - selbst, wenn er nur ruhig dasteht... Und alleine für seinen durchaus überdenkenswerte Aspekte ansprechenden Monolog über buchstäblich Gott und die Welt hätte der bei der '98er Oscar-Verleihung schmählich Übergangene minimal eine Nominierung als bester Hauptdarsteller verdient gehabt!

fight club //

OT: Fight Club
USA 1999 - 135 Min. - 2,35:1 - David Fincher


"Du hast mich in einer seltsamen Phase meines Lebens getroffen."

David Fincher zählt gegen Mitte/Ende der 1990er Jahre zu einer neuen Generation von Film-Regisseuren, den "jungen Wilden" Hollywoods. Mit seinen Arbeiten Alien³, Sieben und The Game konnte er dies schon ansatzweise deutlich machen. Mit Fight Club allerdings setzt er Maßstäbe, was die Definition des Begriffs "wild" angeht. So entfesselt und anscheinend von Mainstream-fokussierter Studio-Hierarchie unbeeindruckt hat man selten einen Filmemacher an die Arbeit gehen sehen.

Dieses Werk, dass bis heute den vorläufigen Höhepunkt in seiner Filmographie darstellt, bricht mit den meisten der momentan gültigen Traumfabrik-Regeln und präsentiert sowohl visuell, akustisch (Oscar-Nominierung!) als auch inhaltlich endlich mal wieder filmische Güter, wegen derer die Amerikaner (und um diese geht es ja leider in erster Linie) gerade nicht ins Kino gehen. Das ist wohl auch der Grund für das Box-Office-Scheitern von Fight Club in Übersee, wahrscheinlicher aber ein untrügliches Zeichen für den allgemeinen Wert des Filmes. Irgendwann wird auch der Rest der Welt bemerken (manche früher, andere später), dass hier ein wahrlich wegweisender Klassiker geboren wurde.

Was soll man da noch sagen? Sitzt man doch angesichts dieses Geschosses von einem Film sprachlos im Kinosessel. Das Faszinierendste ist die Auflösung der Geschichte am Schluss, welche den Zuschauer förmlich zwingt, das Werk gleich noch einmal zu sehen. Es handelt sich um eine der leider viel zu seltenen, überraschenden Pointen, die einen das vergangene Geschehen der letzten gut zwei Stunden noch einmal komplett aus anderer Sicht überdenken lassen. Bestes Beispiel dafür ist Alan Parkers Angel Heart. Fight Club kratzt jedoch eindrucksvoll mit seinem brutal konsequenten Höhepunkt an diesem Genialitätsthron. Wenn man dann vor diesem Hintergrund den Film ein zweites mal sieht, fallen einem bereits die vielen Anspielungen bezüglich des Endes auf, welche absolut meisterhaft über die gesamte Länge des Werkes verstreut sind. Viele Kleinigkeiten bleiben dann auch im Gedächtnis des Betrachters haften, Kleinigkeiten, die in ihrer Gesamtheit die Größe dieses Filmes ausmachen: Der an Hodenkrebs erkrankte Bob (Rocksänger Meat Loaf) zum Beispiel, ein unbeholfener Klops, der im Rahmen seiner Krebstherapie durch starke Hormone riesige Brüste entwickelt hat (treffend im amerikanischen Original: "Bitch tits") und sich einfach nur nach etwas Zuneigung sehnt, welche er im Fight Club dann endlich auch findet. Bob ist übrigens eine der insgesamt nur zwei Figuren, die während der Geschehnisse ihr imaginäres Leben lassen. Diese Tatsache ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass Kritiker dem Film übertriebene Gewaltdarstellung vorwerfen. Ein Grund dafür, dass er in Deutschland mit der FSK-Freigabe "Ab 18" ins Kino kam.
 
Weiterhin der Gang des Erzählers Edward Norton durch einen virtuellen Ikea-Katalog, der wunderbar die gleichzeitige Konsum-Abhängigkeit als auch die in seinem Fall daraus resultierende Rebellion dagegen verdeutlicht. Im Übrigen ist der Film, wie bereits kurz erwähnt, visuell mehr als beeindruckend gestaltet - schwer zu beschreiben allerdings, man muss es selbst sehen. David Fincher ist sich jedenfalls treu geblieben, was die Bildgestaltung angeht: Wie bereits in seinen früheren Werken, ganz besonders jedoch in Sieben, ist jeder Schauplatz sorgfältig choreographiert, ausgestattet und beleuchtet, jede Szene könnte als Metapher oder Andeutung für Späteres herhalten. Einzig und allein die gelegentlichen, computergenerierten Kamerafahrten durch virtuelle Mülleimer und selbst gebastelte Bomben kommen etwas zu eigennützig daher, zumal sie sich bei allem Hingucker-Potential nicht unbedingt auf dem technisch höchsten Niveau befinden - wohl der Preis dafür, wenn man kein 100-Mio.-$-Budget zur Verfügung hat. Und noch eine Kleinigkeit zum Schluss: Einmal erscheint ein Kino im Bild, im Hintergrund zwar, aber dennoch deutlich erkennbar, in welchem gerade Sieben Jahre in Tibet gezeigt wird. Ein schmunzelnder Seitenhieb auf Brad Pitts eigenes Schönling-Image, welchem er nun wieder ein Stückchen entkommen kann. Man darf auch nicht vergessen, dass es ihm einspielstarke Edelschnulzen wie Legenden der Leidenschaft oder eben Sieben Jahre in Tibet erst ermöglichen, auf den ersten Blick unpopuläre Stoffe wie Fight Club zu verwirklichen, wo er auch erstmals seit Sieben beweisen kann, dass er ein durchaus respektabler Schauspieler ist.

der soldat james ryan //

OT: Saving Private Ryan
USA 1998 - 168 Min. - 1,85:1
- Steven Spielberg 

"Erschießt sie nicht, laßt sie verbrennen!"

Der Soldat James Ryan lässt dem Zuschauer keine Zeit. Keine Eingewöhnungsphase bereitet ihn auf das vor, was ihn während der nächsten fast drei Stunden erwartet. Hat er jedoch die ersten zwanzig Minuten überstanden, könnte er sich damit trösten, dass es kaum schlimmer werden kann. Wäre Steven Spielberg nicht bereits der bekannteste, vielseitigste und wahrscheinlich beste Regisseur des 20. Jahrhunderts, Biographen würden später schreiben, seine Inszenierung der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 sei es gewesen, welche ihn berühmt gemacht hat. Der nahezu aussichtslose Ansturm der (in diesem Fall) amerikanischen Soldaten auf den französischen Strand, der unnachgiebig von den deutschen Besatzern gehalten wird, ist von erschreckender Konsequenz: Maschinengewehr-Salven pflügen durch die Reihen der anrückenden Männer, Granaten zerreißen ihre Körper, die Angreifer fallen wie die Fliegen, Szenen von unglaublich bedrückender Intensität reihen sich aneinander, unterstützt von genial eingesetzten, subjektiven Kamera-Einstellungen und Toneffekten.

Als (historisch nicht ganz korrekt, film-dramaturgisch aber nötig) eine knappe halbe Stunde später die Amerikaner schließlich doch die Dünen überwinden und die feindlichen Bunker einnehmen können, kehrt etwas Ruhe ein, und Spielberg hat in dieser kurzen Zeit tatsächlich bereits schon wieder Filmgeschichte geschrieben. Er hat gesagt, in seinem Film wolle er unter anderem glaubhaft darstellen, wie es ist, wenn ein Mensch stirbt. Das Sterben im Krieg habe nichts Heroisches, auch wenn man sich das vielleicht manchmal wünsche. Die Soldaten liegen schreiend in ihrem Blut, rufen nach ihren Müttern und versuchen verzweifelt, abgetrennte Gliedmaßen aufzusammeln oder sich ihre Gedärme wieder in den Bauch zu stopfen. Nun, glücklicherweise ist man Laie und könnte kaum ein Echtheitszertifikat für derlei Szenen ausstellen. Während sich die erschütternden Ereignisse ins Gedächtnis brennen, muss man aber vom Gefühl her absolut zugestehen, dass der Regisseur mit seinem Vorhaben einer realistischen Darstellungsweise des rauen Kriegshandwerkes mehr als erfolgreich gewesen ist. Selbstverständlich ist dieses nicht seine Haupt-Intention. Auch er vernachlässigt nicht die wichtigen Aspekte, die Kriegsfilme im allgemeinen und beispielsweise Stanley Kubrick im speziellen in Full Metal Jacket bereitstellen - das Hinterfragen der vermeintlich sinnlosen Mission, des eigentlichen Einsatzes im jeweiligen Krisengebiet, des Aufwiegens menschlichen Lebens gegeneinander und nicht zuletzt die Frage nach Moral und Menschlichkeit. Wie weit darf man in einem perversen "Spiel" ohne Regeln gehen, bis man Verstand, Würde und Unrechtsbewusstsein endgültig verliert? Wo ist die Grenze - sofern es eine gibt?

Dass keine Missverständnisse entstehen: Obwohl Der Soldat James Ryan in seinen intensivsten Momenten unglaublich brutal und abstoßend wirkt, ist und bleibt Spielbergs Werk ein Kriegsepos und keinesfalls ein Vertreter des imaginären Genres der so genannten "Anti"kriegsfilme. Denn ein "Anti"kriegsfilm müsste jegliche Faszination für den Krieg an sich, welche zweifellos besteht und in einem jeden von uns innewohnt, radikal ausklammern, müsste den Betrachter in extremster Konsequenz anwidern, ihn zwei Stunden durchgehend mit all den Unmenschlichkeiten und der Sinnlosigkeit des Kämpfens und Sterbens bombardieren. Niemand könnte das ertragen, somit hat es einen solchen Film bisher noch nicht gegeben, und höchstwahrscheinlich wird es ihn auch niemals geben. Natürlich gibt es in diesem Werk Ansätze davon, muss es geben, doch blicken hier immer wieder Momente tiefster menschlicher Regungen durch. Gelegentliche Pausen, welche sowohl den Soldaten als auch den Zuschauern kurze Erholung verschaffen, bringen uns die Menschen auf der Leinwand näher, machen sie transparenter, lassen uns mitleiden und mitfühlen. Man darf nicht außer Acht lassen, dass wir mit diesem Film unterhalten werden sollen, und selbst die Männer da oben versuchen, während sie an vorderster Front verrecken, dem Krieg an sich noch etwas Positives abzugewinnen; "Der Krieg schweißt uns zusammen, er hilft uns, über uns selbst hinauszuwachsen", sagen sie. Was bleibt ihnen anderes übrig? Schließlich muss sich Corporal Upham beim finalen Gefecht und angesichts der toten Kameraden sogar fragen, ob sein Werk der Menschlichkeit, welches er einen Tag zuvor an einem gefangenen Deutschen begangen hat, nicht ein schwerer Fehler gewesen ist. Die Frage, wie viel ein Menschenleben - aufgewogen gegen ein anderes - wert ist und ob der alte Bibelspruch "Auge um Auge, Zahn um Zahn" immer noch bittere Gültigkeit besitzt (und wenn ja, kann dessen Durchsetzung Trost spenden?), lassen den Jungen in wenigen Augenblicken um Jahre altern. Schlussendlich hat er den gleichen leeren Blick in den Augen wie seine Freunde.

Aber gerade weil es sich hier um einen Kriegsfilm handelt, wird sich nach dem Abspann kein einziger Halbwüchsiger freiwillig zum nächsten Kampfeinsatz irgendwo auf dieser Welt melden. Das ist es schließlich, was Der Soldat James Ryan und andere Meisterwerke des Genres auszeichnet, ein Genre, aus dem sich Spielbergs Epos in seiner technischen Brillanz, der unfassbaren Konsequenz und gleichzeitig tiefster Menschlichkeit deutlich hervorhebt.

Ein Ratschlag an dieser Stelle für alle, die den Film noch nicht gesehen haben (dieses aber auf jeden Fall tun sollten): Meiden Sie etwaige Wiederaufführungen im Kino, greifen Sie lieber zu DVD oder Videokassette - da haben Sie nämlich zwischendurch die Möglichkeit abzuschalten.

forrest gump //

OT: Forrest Gump
USA 1994 - 137 Min. - 2,35:1 - Robert Zemeckis


"Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen - man weiß nie, was man kriegt."

Das Besondere und gleichzeitig Einzigartige an Forrest Gump ist, dass seine Geschichte die Geschichte ist. Genauer und eingeschränkter gesagt, die amerikanische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ein guter, simpler Mensch wandert durchs Leben und nimmt dabei an den bedeutendsten Ereignissen teil, welche in den und um die USA passieren - meistens, ohne es selbst wirklich zu bemerken. Dabei stellt er sich immer wieder die Frage, ob man einfach nur umher getrieben wird wie ein Blatt im Wind oder ob alles im irdischen Dasein von einem übermächtigen Schicksal vorherbestimmt ist. Fragen, die sich ein jeder stellt.

Man mag sich wundern, wie es ein derartig gefühlvoller und in seinem innersten Wesen ruhiger Film, der nicht etwa im Jahre 2235 in einer fernen Sternenwelt oder ähnlichem angesiedelt ist, schaffen kann, den Oscar für die besten visuellen Spezialeffekte einzuheimsen. Technik-Freak Robert Zemeckis wollte nach allerlei effektverliebtem Schnickschnack (z.B. Zurück in die Zukunft oder Der Tod steht ihr gut) endlich mal ein anspruchsvolles Werk hervorbringen, mochte aber gleichzeitig nicht auf die optischen Möglichkeiten verzichten, die ihm moderne Effektschmieden wie George Lucas Marktführer-Firma Industrial Light & Magic (Krieg der Sterne-Trilogie, Terminator 2, Jurassic Park, etc.) anzubieten in der Lage waren. Und bei diesem Vorhaben, altmodische und zu Herzen gehende Erzählweise mit Technik auf dem höchsten momentanen Entwicklungsstand zu vereinen, ist ihm mit Forrest Gump ein riesiger Erfolg geglückt, auch in finanzieller Hinsicht. Durch die geschickte Zusammenarbeit von realen Schauspielern und virtuellen Computerkreationen ist es beispielsweise möglich, dass Forrest im Laufe seines Lebens solch illustren Jahrhundert-Ikonen wie John F. Kennedy und Jimmy Carter begegnet. Diese Szenen sind technisch und inszenatorisch absolut brillant konstruiert, und, wüsste man es nicht besser, man glaubte ohne Zweifel, dass Tom Hanks dem echten J.F.K. während der Dreharbeiten die Hand geschüttelt hat. Der Betrachter bekommt die Spezialeffekte eigentlich gar nicht mit, und das ist sowohl Intention der Macher als auch fast schon eine eigene, hohe Kunstform.

Forrest Gump ist (im positivsten Sinne) technisches Kino höchster Vollendung, er ist ein (zugegeben knapper) Abriss wichtigster geschichtlicher Ereignisse im Amerika dieses Jahrhunderts, aber er ist auch nicht zuletzt wunderbar reine Unterhaltung. Selten macht es schlicht und einfach so viel unbekümmerte Freude, sich einen Film anzuschauen, mit den dargestellten Menschen zu lachen und mit ihnen zu trauern. Auf die Frage übrigens, ob das Leben vom Zufall oder doch vom Schicksal angetrieben wird, bekommt auch Forrest Gump, wie alle anderen vor ihm, keine Antwort.

reservoir dogs //

USA 1992 - 95 Min. - 2,35:1 - Quentin Tarantino

"Mr. Brown? Das klingt aber ziemlich nach Mr. Scheiße."

Sie sind der Überzeugung, Quentin Tarantinos Pulp Fiction sei ein absolut cooler Streifen, gespickt mit einigen der seltsamsten aber auch interessantesten Charaktere der Filmgeschichte, durchsetzt mit fiesestem Humor und innovativer, zeitlicher Erzählstruktur - kurz, ein echtes, einzigartiges Meisterwerk? Stimmt schon, allerdings hat der durchgedrehte Ausnahme-Regisseur das alles schamlos geklaut - und zwar bei sich selbst. Denn bereits zwei Jahre, bevor er mit seinem Oscar-prämierten Epos über Höhen und Tiefen kleiner und großer Gauner zu Weltruhm gelangte, hat er seinen bis heute wichtigsten Film gedreht, welcher gleichzeitig auch sein Regie-Debüt gewesen ist: Reservoir Dogs, eine kleine (lediglich in Bezug auf Budget und Lauflänge!) aber dafür umso kraftvollere Moritat über eine Handvoll Krimineller, die gemeinsam einen Banküberfall vermasseln und sich zwischendurch wie Schulmädchen wegen alltäglicher Banalitäten in die Haare kriegen.

Tarantinos wahres Juwel Reservoir Dogs lebt natürlich vor allem von den irrwitzigen Dialogen der Charaktere, und diese Stilistik sollte der Regie-Wunderknabe dann ja bekanntlich in Pulp Fiction konsequenterweise noch auf die Spitze treiben. Das Zerren um Kleinigkeiten, das gegenseitige Zerfleischen der Wilden Hunde (so der deutsche Alternativ-Titel) macht die Männer, die allesamt so gerne eiskalte und ausgekochte Gangster ohne Gewissen wären, so lebendig und menschlich. Der Aufhänger der Geschichte, der Überfall auf das Juweliergeschäft, wird übrigens gar nicht gezeigt. Das ist auch nicht nötig, denn das eigentlich interessante und wichtige Geschehen spielt sich vor und nach dem Coup ab. Dieses Geschehen verwebt der Regisseur auf faszinierendste Art und Weise in mehreren Zeitebenen, die dem Betrachter scheinbar willkürlich um die Augen und Ohren gehauen werden, doch am Ende fügt sich wieder alles zu einem großen, kompletten und stimmigen Bild zusammen, stimmiger und konsequenter jedoch, als es später bei »Pulp Fiction« der Fall sein würde.

Kleine Anekdoten am Rande: Quentin Tarantino musste sich das Geld für sein Erstlingswerk aus allerlei dubiosen Quellen zusammenklauben. Unter anderem traf er ein Abkommen mit der Spezialeffekte-Firma KNB, deren Chef Robert Kurtzman er ein weiteres, komplettes Drehbuch zusicherte als Gegenleistung für die aufwendigen Make-Up-Spielereien seiner Dogs (später sollte aus diesem Script dann die Splatterkomödie From Dusk till Dawn entstehen). - Außerdem steuerte Co-Produzent Harvey Keitel höchstselbst eine Million Dollar zur Finanzierung des Gangster-Dramas bei und verzichtete dann auch im gleichen Atemzug auf seine Gage als Schauspieler. - Seit der Erstvorführung im Jahre 1992 hält sich hartnäckig das bemerkenswerte Gerücht, dass gestandene Regie-Veteranen (darunter auch Scream- und "Freddy Krueger"-Vater Wes Craven) Vorstellungen von Reservoir Dogs vorzeitig verlassen haben sollen, da ihnen Michael Madsens kleine Polizisten-Folterlektion zu hart gewesen sei. Also, wenn das kein Gütesiegel ist...