Donnerstag, 23. Juli 2020

children of men //

OT Children of Men // USA/GB 2006 // 109 Min. // 1,85:1 //
Regie Alfonso Cuarón // Kamera Emmanuel Lubezki // Musik John Tavener //

"Zieh' an meinem Finger!"

"Keine Kinder, keine Zukunft, keine Hoffnung. Das Aussterben der Menschheit scheint unabwendbar, als im Jahr 2027 der jüngste Mensch der Welt mit nur 18 Jahren stirbt. Der desillusionierte Regierungsagent und ehemalige Aktivist Theo und eine Ex-Frau Julian sollen die Zukunft des von Terroristen und Nuklearkriegen verwüsteten Planeten sichern: Als eine junge Frau wie durch ein Wunder schwanger wird, werden sie zur Eskorte auf einem gefährlichen Weg zu einem Zufluchtsort auf hoher See..." (BD-Cover)

Dieser Film schafft etwas, bei dem die allermeisten Genre-Kollegen bereits in den ersten Einstellungen scheitern, nämlich ein glaubhaftes Bild der näheren Zukunft zu entwerfen. Wenn man den Protagonisten durch überfüllte, totalitär überwachte Städte folgt, die irgendwo zwischen versiffter Lethargie und Hightech-Werbebannern vor sich hin vegetieren, kommt man unweigerlich zu dem Schluss: Ja, so könnte es in ein paar Jahren bei uns aussehen.


Regisseur Cuarón beweist eindrucksvoll, dass er sich seinerzeit bei »Harry Potter und der Gefangene von Askaban«  weit, weit unter Wert verkauft hat und präsentiert sich als Großmeister der langen Einstellungen - bei denen er nach eigenen Angaben ziemlich getrickst hat, was dem Betrachter aber nicht auffallen dürfte. Der sitzt mit offenem Mund davor und staunt über minutenlange, spektakulär kombinierte Action-Sequenzen, die scheinbar ohne auch nur einen einzigen Schnitt auskommen (eine Verfolgungsjagd mit Motorrädern und die finale Ballerei sind schlicht grandios).

Im perfekten Einklang mit dem Hightech-Brimborium schwingt eine zeitlose, zutiefst bewegende Geschichte über den Kern der Menschlichkeit in einer zunehmend unmenschlichen Welt mit. Am Ende steht ein Funken Hoffnung. Verdient oder nicht - das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Mittwoch, 22. Juli 2020

unbreakable //

OT Unbreakable // USA 2000 // 102 Min. // 2,35:1 // 

"Sie nannten mich Mr. Glass."

"Ein verheerendes Zugunglück vor den Toren von Philadelphia. 131 Tote. Nur ein Mann hat die Katastrophe überlebt... völlig unverletzt, ganz ohne Schrammen. Hatte David Dunn nur Glück? Oder gibt es einen tieferen Grund für sein Überleben? Er hat keine Antworten auf seine Fragen. Doch dann tritt der mysteriöse Elijah Price in sein Leben. Er behauptet, David Dunn sein unzerbrechlich und er wüsste warum." (BD-Cover)

M. Night Shyamalan ist einer der filmtechnisch zurückhaltensten Regisseure Hollywoods. In seinen Werken wimmelt es nur so vor übernatürlichen Geschehnissen und unerklärlichen Phänomenen - Stoffe, aus denen andere, mehr dem Mainstream zugeneigte Spielleiter ein sämtliche Sinne benebelndes High-Tech-Brimborium fabriziert hätten. Shyamalan aber hat spätestens seit »The Sixth Sense« einen eigenen Stil und Zugang zu seinen fantastischen Geschichten gefunden.

Genau wie im Geisterthriller aus dem Jahre 1998 verzichtet er in »Unbreakable« weitestgehend auf visuellen Hokuspokus und konzentriert sein ganzes Augenmerk auf die Charaktere, seine Helden und Schurken, die eigentlich lieber keine wären. Nach dem phänomenalen Erfolg von »The Sixth Sense«, ebenfalls mit einem geisterhaften Bruce Willis in der Hauptrolle, waren direkte Vergleiche mit M. Night Shyamalans neuem Film natürlich unausweichlich. »The Sixth Sense« ist zweifelsohne ein guter Film, die teilweise haarsträubenden, auch bei bestem Willen unübersehbaren Logik-Löcher jedoch verärgern jeden mitdenkenden Zuschauer. Schon klar, bei einem Fantasy-Thriller den Begriff "Logik" ins Spiel zu bringen, ist mutig. Wenn sich ein Film aber einem speziellen Genre voll und ganz verschreibt, dann sollte er wenigstens die Regeln dieses Genres einhalten, und das gelingt Shyamalan konsequenterweise erst bei Unbreakable.

Zugegeben, man muss sich erst einmal auf das abgefahrene Comic-Helden-Szenario einlassen. Ist man aber dazu bereit, ergibt das Werk einen ganz eigenen schlüssigen Sinn mit seiner ganz eigenen schlüssigen (Fantasy)Logik. Und indem der Regisseur und Autor den großartigen Samuel L. Jackson, seinen gläsernen Antihelden, am Ende noch einmal den für das gesamte Geschehen essentiellen Satz wiederholen lässt, hat er uns, scheinbar ganz nebenbei, einen der bewegendsten Momente der Film-Geschichte geschenkt.

u-turn - kein weg zurück //

OT U-Turn // USA 1997 // 119 Min. // 1,85:1 //
Regie Oliver Stone // Kamera Robert Richardson // Musik Ennio Morricone //

"Ein Mann ohne Moral ist ein freier Mann."

"Bobby Cooper ist ein kleiner Ganove auf der Flucht nach Las Vegas. Üble Typen, die vor nichts zurückschrecken, sind ihm auf den Fersen. Ein paar Finger haben sie ihm schon abgezwackt, weil er seine Schulden nicht zahlen konnte. Mit Koks und Pillen hält sich Bobby auf den Beinen, doch der Weg durch Arizonas Wüste ist gnadenlos. In einem kleinen Nest im Nirgendwo strandet Bobby wegen Kühlerschadens. Er bekommt zwar das schärfste Mädchen am Ort, verliert aber all seine geraubten Dollars. Die Killer im Rücken, keine Kohle, kein Ausweg. Alles wendet sich gegen ihn, außer Jake McKenna: er bietet Bobby Geld - für einen Mord..." (DVD-Cover)

Hier kommt ein ganz, ganz fieser Film daher. Verglichen jedoch mit »
Natural Born Killers«, dem Werk nämlich, welches Regie-Maniac Oliver Stone zuvor abgeliefert hat, ist »U-Turn« fast schon wieder zahm. Der Humor ist hier allerdings genauso tiefschwarz und bitterböse, das Kuriositäten-Kabinett verschlagener, hinterrücks intrigierender und hundsgemeiner Charaktere ist sogar noch umfangreicher, und an Kunstblut wird ebenfalls nicht gespart. Nicht eine einzige "gute" Seele weit und breit, jeder hat nur seinen eigenen Profit im Sinn - ziemlich viel Realismus für ein "Kino-Märchen". So fällt es dann auch schwer, irgendwo zwischen all den Grausamkeiten wie Schießereien, Verstümmelung und Verrat einen "Helden" auszumachen.

Wie gesagt, ein ganz fieser Film, der einzig und allein um das Thema "Das Böse im Menschen" pendelt. Prinzipiell könnte man sagen, dass dieses wohl der essentielle Inhalt eines jeden Filmes ist, »U-Turn« aber geht bis zur Grenze dieser Thematik und dann noch konsequent einen Schritt darüber hinaus. Oliver Stone präsentiert ein einzigartiges Sammelsurium ausnahmslos böser Menschen, vom Kleinkriminellen bis zum Schwerverbrecher, der Schauplatz "Superior" gleicht einem biblischen "Sodom und Gomorra" im Kleinformat, und der arme Bobby, obwohl selbst eigentlich auch nur ein skrupelloser Halsabschneider, muss einem leid tun, wie er hilflos in diesem Geflecht aus Lügen und Verrat zappelt - und dieses zeigt, dass es, egal wie böse jemand auch sein mag, immer irgendwo noch einen anderen gibt, der noch böser ist. Es gibt stets eine Steigerung, und ganz besonders gilt dieser Grundsatz für die menschlichen Abgründe.

Diese Steigerung wird nicht zuletzt auch konsequenterweise mit den Mitteln filmischer Gewaltdarstellung deutlich gemacht, und natürlich erhitzen sich bei solchen Gelegenheiten gerne mal Sitte und Anstand wachen wollende Gemüter, wie auch schon bei »Natural Born Killers«. - Zitat: "Muss das denn sein?" Sicherlich müssen die Brutalitäten nicht so gezeigt werden wie in »U-Turn«, aber vor dem Hintergrund eines immer brutaler werdenden, allgegenwärtigen Daseins um uns herum, das von sämtlichen Medien 24 Stunden pro Tag direkt in die Wohnzimmer vermittelt wird, sollten sie es vielleicht, um abgestumpfte Konsumenten überhaupt noch zum Denken anregen zu können.

Außerdem: Die Frage "Muss das denn sein?" zeigt bereits, dass über das Gesehene nachgedacht wird, und das ist schon mehr, als die meisten anderen Filme zu leisten im Stande sind. Gewalt auf der Leinwand als Selbstzweck zu betrachten, ist selbstverständlich nicht der richtige Ansatz, aber allein, wie diese Frage gestellt wird, zeigt deutlich, dass die Zuschauer schon genug Grausamkeiten im Alltag und in den Nachrichten ertragen müssen, was sie nicht noch künstlich im Kino fortsetzen wollen. Präziser gestellt müsste die Frage eigentlich lauten: "Muss das denn noch zusätzlich sein?" Dieses ist die bittere Erkenntnis, die »U-Turn« alles in allem bietet, und darüber muss man nachdenken - das Leben ist eben letztlich einfach nur fies.

Mittwoch, 29. Februar 2012

ocean's eleven //

OT Ocean's Eleven // USA 2001 // 116 Min. // 2,35:1 //
Regie Steven Soderbergh // Kamera Peter Andrews // Musik David Holmes //

"Cliff Richard hat angerufen, er möchte sein Hemd wieder zurückhaben."

"Kaum aus dem Gefängnis entlassen, plant der elegante Gauner Danny Ocean in Las Vegas den Coup seines Lebens: Er will die drei größten Casinos der Stadt gleichzeitig ausnehmen. Dazu engagiert er die elf besten und coolsten Spezialisten der Branche, wie den Falschspieler Rusty und den Taschendieb Linus. Ihr raffinierter Plan scheint perfekt. Doch Danny hat mit dem skrupellosen Besitzer der Casinos, Terry Benedict, noch eine ganz private Rechnung offen. Denn Terry ist der neue Freund von Dannys Ex-Frau Tess. Und um sie zurückzuerobern, riskiert Danny alles." (DVD-Cover)

Liest man sich die Beschreibung der DVD-Rückseite durch, besteht die Gefahr, dem Irrglauben zu erliegen, dies sei lediglich ein weiterer netter, aber eigentlich überflüssiger Gangsterfilm, ein selbstzweckhaftes Starvehikel mit der alleinigen Intention, einige Hollywood-Größen ohne viel Aufwand und mit einer 0815-Story mal wieder ins Gespräch zu bringen. Auch wenn man sich erinnert, dass Stephen Soderbergh üblicherweise vornehmlich mit großen, meist Oscar-würdigen Dramen auftrumpft, wie beispielsweise »Traffic« oder »Erin Brockovich«, so bedeutet es wohl, dass »Ocean's Eleven« nicht mehr als eine Fingerübung für den Regisseur gewesen sein kann, ein kleiner Appetithappen für Zwischendurch.

Nun, Fingerübung hin oder her, Begriffe wie "überflüssig", "selbstzweckhaft" oder "0815" sollte man dafür jedenfalls nicht gebrauchen. Selten hat man einen so durch und durch amüsanten, in sich stimmigen und ganz besonders stilvollen Film zu Gesicht bekommen wie dieses Remake des Klassikers »Frankie und seine Spießgesellen« mit Frank Sinatra aus dem Jahre 1960. Die Beteiligten sind mit sichtlichem Spass und Charme bei der Sache, Kostümdesigner Jeffrey Kurland dürfte bei seinen ziemlich lässigen Kreationen einige Überstunden angesammelt haben, und Meister Soderbergh kümmerte sich höchstselbst auch noch als Kameramann um die perfekte Hochglanzoptik (im Nachspann verpasste er sich dafür allerdings das Pseudonym "Peter Andrews").

Der verblüffende Höhepunkt des Coups am Schluss fügt sich nahtlos an das hochintelligente Geschehen an, und genau, wie Danny Ocean seine "Eleven" (lat.: "Schüler") dann ein wenig klüger und erwachsener ins normale Leben zurück entlässt, so entlässt er den Zuschauer mit der Gewissheit, mal wieder einen außergewöhnlichen Gangsterfilm gesehen zu haben.

Dienstag, 28. Februar 2012

matrix //

OT The Matrix // USA 1999 // 131 Min. // 2,35:1 //
Regie Andy Wachowski & Larry Wachowski // Kamera Bill Pope // Musik Don Davis //

"Die Menschen sind eine Krankheit, und wir sind die Heilung."

"Der Hacker Neo wird übers Internet von einer geheimnisvollen Untergrund-Organisation kontaktiert. Der Kopf der Gruppe - der gesuchte Terrorist Morpheus - weiht ihn in ein entsetzliches Geheimnis ein: Die Realität, wie wir sie erleben, ist nur eine Scheinwelt. In Wahrheit werden die Menschen längst von einer virtuellen Macht beherrscht - der Matrix, deren Agenten Neo bereits im Visier haben." (DVD-Cover)

Wer hätte gedacht, dass man gegen Ende des 20. Jahrhunderts doch noch mal etwas wirklich Neues im Lichtspielhaus zu Gesicht bekommen würde? Die vom Kino besessenen Filmfreaks Andy und Larry Wachowski haben es mit »Matrix« tatsächlich fertig gebracht, dass sich auch der erfahrendste Zelluloid-Veteran im Saal mit offenem Mund an seiner Sessellehne festkrallt. Nie zuvor hat man innovative, digitale Spezialeffekte in derartiger Perfektion auf der Leinwand erleben dürfen. Aber nicht das allein, sogar die Story, sonst meistens lästiges, kümmerliches und nur notwendigerweise entwickeltes Beiwerk von Event-Movies wie diesem, ist intelligent und clever ausgearbeitet. Ein Film für die Sinne - und fürs Gehirn.

Matrix-Produzent Joel Silver hat gesagt, dieses Werk sei das erste Stück Zelluloid, welches den Titel "Film des neuen Jahrtausends" auch wirklich verdiene. Ein wahrlich überstrapazierter Begriff, soviel ist sicher, trotzdem ist man nach Sichtung dieses gewaltigen Streifens geneigt, dem trommelnden Hollywood-Macher zuzustimmen. 1991 revolutionierte James Cameron mit seinen damals sensationellen Morphing-Tricksereien in »Terminator 2 - Judgment Day« die Szene digitaler Spezialeffekte, bereits zwei Jahre später sorgte Steven Spielberg mit dem Dinosaurier-Spektakel »Jurassic Park« weltweit für offene Münder in den Kinosälen, indem er erstmals komplett am Rechner kreierte Riesenechsen eine idyllische Südseeinsel plattwalzen ließ. Seitdem hat sich in dem Sektor nicht allzu viel Neues ergeben. Zwar wurden die vorhandenen Techniken erweitert und bis an die Grenzen der Perfektion getrieben, trotzdem hatte man bei den zahlreichen Event- und Effekt-Movies gegen Mitte/Ende der 90er Jahre immer das Gefühl, alles schon mal irgendwo gesehen zu haben - bis zu »Matrix«. Für die innovativen und wirklich neuartigen Action-Sequenzen, in denen sich die Kontrahenten scheinbar schwebend in Zeitlupe bekriegen, während sie von der Kamera nach Belieben umkreist werden, wurde ein eigenes Effekt-Verfahren entwickelt, "Bullet-time", benannt nach Pistolenkugeln ("Bullets"), die man mit Hilfe dieser Technik sich langsam auf ihrer Flugbahn bewegend künstlich am Computer designen und beobachten kann.

Wie gesagt, bei all der optischen Wucht bleiben auch glücklicherweise die grauen Zellen nicht unterfordert. Durchaus eine interessante Vorstellung, unsere Welt könne einfach nur eine Simulation sein, alles, was wir hier "erleben", wäre unecht. Es gäbe keine Gefühle, keinen Schmerz, keinen Geruch - nur das, was unser Gehirn als "echt" interpretiert. Nun mag einer sagen, dass das doch gar nicht sooo schlimm wäre, man würde den Unterschied ja ohnehin nicht bemerken. Kann man so sehen, und das tun auch durchaus einige Charaktere im Film, die Neo damit ziemlich zu schaffen machen. Es gibt immer zwei Seiten, Agent Smith beispielsweise hält einmal einen hochinteressanten Monolog, in welchem er, natürlich nicht ganz ernst gemeint (auch Maschinen können Humor haben), den Menschen ihre Zugehörigkeit zur Spezies der Säugetiere abspricht. Durch ihr offenbar angeborenes Verhalten, sich niederzulassen, sich auszubreiten, sämtliche natürlichen Ressourcen auszubeuten, bis davon nichts mehr übrig ist, und dann weiterzuziehen, verhielten sie sich eher wie ein Virus.

Des Weiteren gibt es natürlich zahlreiche Anspielungen auf den christlichen Glauben; angesichts eines einzelnen Charakters, der unfreiwillig die Menschheit erretten soll, bietet sich das auch an. Nicht umsonst lässt sich aus dem Namen "Neo" das Anagram "One" bilden, der "Auserwählte". Und das Wort "Neo" steht bereits für einen Neuanfang, genauso wie für endlich mal etwas wirklich Neues in den Lichtspielhäusern der uns gegebenen (!) Welt.