Freitag, 24. Februar 2012

der soldat james ryan //

OT: Saving Private Ryan
USA 1998 - 168 Min. - 1,85:1
- Steven Spielberg 

"Erschießt sie nicht, laßt sie verbrennen!"

Der Soldat James Ryan lässt dem Zuschauer keine Zeit. Keine Eingewöhnungsphase bereitet ihn auf das vor, was ihn während der nächsten fast drei Stunden erwartet. Hat er jedoch die ersten zwanzig Minuten überstanden, könnte er sich damit trösten, dass es kaum schlimmer werden kann. Wäre Steven Spielberg nicht bereits der bekannteste, vielseitigste und wahrscheinlich beste Regisseur des 20. Jahrhunderts, Biographen würden später schreiben, seine Inszenierung der alliierten Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 sei es gewesen, welche ihn berühmt gemacht hat. Der nahezu aussichtslose Ansturm der (in diesem Fall) amerikanischen Soldaten auf den französischen Strand, der unnachgiebig von den deutschen Besatzern gehalten wird, ist von erschreckender Konsequenz: Maschinengewehr-Salven pflügen durch die Reihen der anrückenden Männer, Granaten zerreißen ihre Körper, die Angreifer fallen wie die Fliegen, Szenen von unglaublich bedrückender Intensität reihen sich aneinander, unterstützt von genial eingesetzten, subjektiven Kamera-Einstellungen und Toneffekten.

Als (historisch nicht ganz korrekt, film-dramaturgisch aber nötig) eine knappe halbe Stunde später die Amerikaner schließlich doch die Dünen überwinden und die feindlichen Bunker einnehmen können, kehrt etwas Ruhe ein, und Spielberg hat in dieser kurzen Zeit tatsächlich bereits schon wieder Filmgeschichte geschrieben. Er hat gesagt, in seinem Film wolle er unter anderem glaubhaft darstellen, wie es ist, wenn ein Mensch stirbt. Das Sterben im Krieg habe nichts Heroisches, auch wenn man sich das vielleicht manchmal wünsche. Die Soldaten liegen schreiend in ihrem Blut, rufen nach ihren Müttern und versuchen verzweifelt, abgetrennte Gliedmaßen aufzusammeln oder sich ihre Gedärme wieder in den Bauch zu stopfen. Nun, glücklicherweise ist man Laie und könnte kaum ein Echtheitszertifikat für derlei Szenen ausstellen. Während sich die erschütternden Ereignisse ins Gedächtnis brennen, muss man aber vom Gefühl her absolut zugestehen, dass der Regisseur mit seinem Vorhaben einer realistischen Darstellungsweise des rauen Kriegshandwerkes mehr als erfolgreich gewesen ist. Selbstverständlich ist dieses nicht seine Haupt-Intention. Auch er vernachlässigt nicht die wichtigen Aspekte, die Kriegsfilme im allgemeinen und beispielsweise Stanley Kubrick im speziellen in Full Metal Jacket bereitstellen - das Hinterfragen der vermeintlich sinnlosen Mission, des eigentlichen Einsatzes im jeweiligen Krisengebiet, des Aufwiegens menschlichen Lebens gegeneinander und nicht zuletzt die Frage nach Moral und Menschlichkeit. Wie weit darf man in einem perversen "Spiel" ohne Regeln gehen, bis man Verstand, Würde und Unrechtsbewusstsein endgültig verliert? Wo ist die Grenze - sofern es eine gibt?

Dass keine Missverständnisse entstehen: Obwohl Der Soldat James Ryan in seinen intensivsten Momenten unglaublich brutal und abstoßend wirkt, ist und bleibt Spielbergs Werk ein Kriegsepos und keinesfalls ein Vertreter des imaginären Genres der so genannten "Anti"kriegsfilme. Denn ein "Anti"kriegsfilm müsste jegliche Faszination für den Krieg an sich, welche zweifellos besteht und in einem jeden von uns innewohnt, radikal ausklammern, müsste den Betrachter in extremster Konsequenz anwidern, ihn zwei Stunden durchgehend mit all den Unmenschlichkeiten und der Sinnlosigkeit des Kämpfens und Sterbens bombardieren. Niemand könnte das ertragen, somit hat es einen solchen Film bisher noch nicht gegeben, und höchstwahrscheinlich wird es ihn auch niemals geben. Natürlich gibt es in diesem Werk Ansätze davon, muss es geben, doch blicken hier immer wieder Momente tiefster menschlicher Regungen durch. Gelegentliche Pausen, welche sowohl den Soldaten als auch den Zuschauern kurze Erholung verschaffen, bringen uns die Menschen auf der Leinwand näher, machen sie transparenter, lassen uns mitleiden und mitfühlen. Man darf nicht außer Acht lassen, dass wir mit diesem Film unterhalten werden sollen, und selbst die Männer da oben versuchen, während sie an vorderster Front verrecken, dem Krieg an sich noch etwas Positives abzugewinnen; "Der Krieg schweißt uns zusammen, er hilft uns, über uns selbst hinauszuwachsen", sagen sie. Was bleibt ihnen anderes übrig? Schließlich muss sich Corporal Upham beim finalen Gefecht und angesichts der toten Kameraden sogar fragen, ob sein Werk der Menschlichkeit, welches er einen Tag zuvor an einem gefangenen Deutschen begangen hat, nicht ein schwerer Fehler gewesen ist. Die Frage, wie viel ein Menschenleben - aufgewogen gegen ein anderes - wert ist und ob der alte Bibelspruch "Auge um Auge, Zahn um Zahn" immer noch bittere Gültigkeit besitzt (und wenn ja, kann dessen Durchsetzung Trost spenden?), lassen den Jungen in wenigen Augenblicken um Jahre altern. Schlussendlich hat er den gleichen leeren Blick in den Augen wie seine Freunde.

Aber gerade weil es sich hier um einen Kriegsfilm handelt, wird sich nach dem Abspann kein einziger Halbwüchsiger freiwillig zum nächsten Kampfeinsatz irgendwo auf dieser Welt melden. Das ist es schließlich, was Der Soldat James Ryan und andere Meisterwerke des Genres auszeichnet, ein Genre, aus dem sich Spielbergs Epos in seiner technischen Brillanz, der unfassbaren Konsequenz und gleichzeitig tiefster Menschlichkeit deutlich hervorhebt.

Ein Ratschlag an dieser Stelle für alle, die den Film noch nicht gesehen haben (dieses aber auf jeden Fall tun sollten): Meiden Sie etwaige Wiederaufführungen im Kino, greifen Sie lieber zu DVD oder Videokassette - da haben Sie nämlich zwischendurch die Möglichkeit abzuschalten.

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